Skulpturen

Seit 2005 setze ich auf Ausflügen oder Reisen in der Natur Steine aufeinander und balanciere diese auf eine ästhetische, ungewöhnliche Weise. Dazu benutze ich nur Steine, die in unmittelbarer Nähe herumliegen, die ich selber heben kann und deren Entnahme aus der Natur vertretbar ist. Für die – oft nur kurze – Stabilität sorgen Schwerkraft und mein Balancieren, also das Ausrichten der Komponenten eines so entstehenden Gebildes.

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SomaBay, Jan. 2020

Warum «Skulpturen»?

Die Wirkung ergibt sich aus den Formen der Steine, deren Lage und dem – oft zufälligen – Spiel aus Licht und Schatten. Und natürlich dem Ort des Geschehens. So entstehen Gebilde, Figuren, ja Gestalten mit manchmal menschlichen Zügen. Trotzdem nenne ich sie selber nicht «Steinmännchen» (umgangssprachlich schweizerdeutsch «Steimandli»), denn erstens haben diese nicht selten weibliche Konturen, finde ich, und zweitens möchte ich mich auch abgrenzen von den vor allem auf Wanderstrecken allgegenwärtigen, oft trivialen Steintürmchen (die ja meist aus horizontal gelegten, eher flachen Steinen bestehen). Ich nenne meine eher vertikal gestapelten Steinformationen daher lieber Skulpturen.

Wie hält das – ohne Hilfsmittel?

Eben: Durch die Schwerkraft, die Balance. Selbstverständlich sind nicht alle Steine für eine solche Umpositionierung geeignet. Vom Auflagepunkt ausgehend hat aber jedes Objekt eine senkrechte Schwerkraft-Linie. Das Objekt kann um diese Linie herum manchmal auch ungewöhnlich ausgerichtet, das heisst zum Beispiel aufgestellt werden. Unter den unendlich vielen Ausrichtungen (Positionen) ergeben sich je nach Objektform, Objektgewicht und den Mikro-Gegebenheiten am Auflagepunkt im Idealfall mehrere Lagemöglichkeiten oder wenigstens eine haltbare.

Es ist sicher Übungssache, erstens die Steine schon nach diesem Kriterium auszuwählen. Also zu beurteilen, welche Stellung sich anbietet – und dies in Kombination mit den angrenzenden Objekten. Zweitens ist es Übungssache, diese dann in der antizipierten Lage auf den Stapel zu heben (da habe ich rückenschonende Techniken entwickelt), dort vorsichtig zu platzieren und in kleinsten Änderungen in eine balancierte Position zu bringen. Unter Berücksichtigung der Stabilität oder besser Fragilität des schon Bestehenden – und im Hinblick auf eine denkbare Ergänzung. Das braucht manchmal eine gewisse Ausdauer.

Beim Aufeinandersetzen helfen die Mikro-Strukturen des Materials. Am schwierigsten sind glatte Steine, je spitziger, desto schlimmer. Am einfachsten aufeinanderzusetzen sind solche mit kleinen Ecken, Rissen, Löchern – oder poröses Gestein, das sich sogar noch anpassen lässt, etwa Sandstein oder Korallengestein. Auch wenn es magisch aussieht, wenn zwei eng gerundete Steine aufeinander stehen – es ist nicht unmöglich bei entsprechendem Aufwand, viel Geduld und ausbleibenden Luftbewegungen. Selbst kleinste Auflageflächen bestehen aus mindestens drei Punkten, die es zu finden gilt.

Wo entstehen diese Steinfiguren?

Ideale Plätze für meine naturnahe Gestaltung – man könnte sie der sog. «Landart» zuordnen – sind Ufer, Strände oder halb trockene Teile von Bach- oder Flussläufen, wo sich oft viele Kiesel, Kleinfindlinge und andere Steine ansammeln, also eine Auswahl besteht. Manchmal bediene ich mich der Steine, die entlang von Äckern aussortiert wurden. Oder im Gebirge, in Geröllhalden. Auf meinen Reisen bin ich immer wieder und meist zufällig auf Situationen gestossen, die sich für eine Hochstapelei anboten. Diese Orte geben den Skulpturen, Statuen, ihre natürliche Bühne. Es ist mir wichtig, sie so zu errichten, dass sie möglichst gut zur Geltung kommen. Dabei denke ich durchaus bereits an den nächsten Schritt: das Festhalten.

Wie lange stehen die Skulpturen?

Je nach Situation halten die Stapel nur für kurze Momente, etwa dann, wenn zum Beispiel Wind aufkommt. Oder auch, wenn ich sehr riskant gebaut habe, also eine kurze Halbwertszeit einer wackeligen Angelegenheit in Kauf nehme, damit es toll aussieht. Ich kann eine  möglichst lange Haltbarkeit anstreben, das geht aber meist auf Kosten der Gestalt. Spektakuläre Konstruktionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr gewagt aussehen und entsprechend fragil sind. Der Einsatz erhöht sich mit jedem Stein. Nicht selten kracht mir eine beispielsweise schon vier- oder fünfteilige Skulptur unter den Händen zusammen, wenn ich ein weiteres Element hinzufügen möchte. Das ist der gefährlichste Teil; dann muss ich meine Füsse rasch in Sicherheit bringen. Ob ich dann wieder von vorn anfange, hängt von der Situation ab.
Vergänglichkeit gehört zum Konzept der «Landart» und auch meiner Stein-Stapelei: Die Skulpturen lösen sich meist beim nächsten Windstoss wieder in Natur auf.

Was zeigen die Fotografien / Videos?

Aufgrund Unbeständigkeit, der zeitlich sehr begrenzten Lebensdauer meiner Steingebilde, liegt es nahe, die Arbeitsergebnisse fotografisch festzuhalten. Die fotografische Inszenierung ist sogar Teil der Aktion. Auch dies hat sich mit der Zeit so ergeben. Dies bedeutet, dass ich mir oft schon bei der Wahl des Orts, der angedachten Position einer Skulptur überlege, wie ich sie hier wohl am besten fotografieren kann, also nach den Kriterien Lichteinfall, Schattenwurf, Hintergrund oder Zugänglichkeit aus verschiedenen Blickwinkeln.

So kann per Fototechnik eine Dynamik besser betont werden, eine Bewegung, vielleicht von Licht und Schatten bewirkte Gesichtszüge, das Zueinanderstehen, Aufeinanderblicken mehrerer Figuren usw. Aber auch hier: Ich nehme bei der Bildbearbeitung keine substanziellen Änderungen vor, die das Objekt nicht so zeigen, wie es ist (also etwa zusätzliche Steine per Photoshop). Hier verfolge ich die gleiche quasi ethische Grundhaltung wie beim Errichten.

Erst in den letzten Jahren habe ich mit Aufnahmen und deren Verarbeitung richtiggehend experimentiert, etwa mit Gegenlicht, neuerdings auch mit Videoaufnahmen. Schon die früheren Fotos habe ich ja für meinen YouTube-Channel zu kurzen Videosequenzen verarbeitet. Die Kombination von Videos und Fotos (und Musik) ist dann aber auch wieder ein zwar kreatives, aber aufwendiges Hobby…

Kurz-Video-Sammlung (YouTube)

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Verwandte Gebiete / Objekte

Nur ganz selten verwende ich andere Materialen, Holzstücke etwa, oder Strandgut bzw. andere Materialien. In meiner Skulpturensammlung Platz finden natürlich auch die «echten» Werke dieser Art, die ich etwa aus Porenbeton (Ytong) gemeisselt, gefräst, gebohrt und geschliffen habe. Oder die Gebilde aus Karton.

Frank Hänecke, 2020